Geschichte des Musicals
Musical ist eine Kurzform für die englischen Begriffe "Musical Drama", "Musical Comedy",
"Musical Play" bzw. "Musical Fable". Eine genaue Definition des Begriffes ist sehr
schwierig, da das Wort Musical eine enorme Stilfülle beinhaltet. Eine Definition wird des
weiteren dadurch erschwert, dass das Musical ein sich stets veränderndes Genre ist,
beeinflusst durch musikalische Trends der entsprechenden Zeit und auch durch die Vorlieben
des Publikums. Selbst Jerome Kern (Showboat) wusste keine genaue Antwort auf die Frage "Was
ist das Musical?". Aber er antwortete, was es unbedingt haben sollte, und zwar Musik.
Anfänge des Musicals: Die Ursprünge des Musicals finden sich in New York City um 1900. Die
entscheidende Rolle spielte hierbei der Broadway, der als Schmelztiegel unterschiedlicher
Nationalitäten, Kulturen, Hautfarben, Konfessionen und sozialen Schichten gilt. So flossen
in ersten Musicals die verschiedensten Einflüsse ein: Swing und Jazz (Afroamerikaner),
witzige Revuen der englischen Einwanderer, der wichtige Einfluss der Operette aus Paris
und Wien und das Flair der Wild-West Shows. Es galt das Kriterium: je exotischer und
aufwendiger die Show, desto mehr Erfolg war ihr gewiss; so gewannen Bühneneffekte,
Tanzeinlagen und Kostüme eine immer wichtigere Stellung.
Als erstes Musical überhaupt gilt das 1866 produzierte "The Black Crook". Weitere bekannte
Musicals aus der Entstehungszeit: "Lady, Be Good" (1924), "Showboat" (1926). Showboat gilt
eigentlich als das erste ernstzunehmende Musical. In diesem Stück ergaben sich die Songs
aus der Handlung und führten die Dramaturgie weiter, ohne diese zu stoppen. Des Weiteren
wurde hier auch Sozialkritik mit eingeflochten, wie das Rassenproblem der Afroamerikaner.
Dadurch löste sich das Musical von der bloßen Nummernshow und es wurde der Weg zu auch
kritischen Themen geebnet.
Der Broadway, der auch heute noch (neben London) als Zentrum der Musicalwelt gilt, verhalf
den frühen Musicals durch die große Konkurrenz der einzelnen Theater zu rasch steigender
Qualität.
Die Entwicklung des Filmmusicals, die durch die Entwicklung des Tonfilms in den
1930er-Jahren ins Rollen gebracht wurde und parallel zur Weiterentwicklung am Broadway
verlief, machte die Gattung "Musical" weltweit beliebt. Mit dem Filmmusical wurden am
Anfang der dreißiger aber auch gleich neue Aufnahmetechniken erfunden. Die sogenannten
Overheadshots machten die Choreographien von Busby Berkley, der für Warner Brothers
Musicals produzierte, zum Markenzeichen. In denen - fernab jeglicher Realität - Hunderte
von Tänzerinnen menschliche Ornamente bildeten. In "Lullaby of Brodway" sieht man Hunderte
von stepptanzenden Füßen in riesigen Art-Deco - Kulissen.
Alle großen Studios waren auf der Suche nach Talenten und Stars, doch kein anderes Studio
wies in Punkto Filmmusical einen derart großen Kreativitätspool auf wie Metro-Goldwyn-Mayer.
MGM wurde quasi zum Synonym für dieses Genre, welches in "Ein Amerikaner in Paris"
(George Gershwin) seinen künstlerischen und qualitativen Höhepunkt fand und dafür mit einem
wahren Oscarregen bedacht wurde. Ein anderes typisches Filmusical, welches sich zu einem
Klassiker entwickelte, ist "Singing in the Rain", in dem die Filmindustrie persifliert
wurde.
Es fand ein reger Ideenaustausch statt zwischen dem Musicalzentrum Broadway und Hollywood,
dem Mittelpunkt der Filmproduktion. So wurden viele der Broadway-Erfolge verfilmt, genauso
wie später Filme als Musical-Vorlage dienten. Das Medium "Film" eröffnete dem Musical
völlig neue Dimensionen und ermöglichte mehr Perfektion sowie üppigere Ausstattung. Durch
das Verlassen der Bühne wich das Illusionstheater realistischen Landschaftsbildern.
Erstmals waren rasche Szenenwechsel ohne Umbaupausen genauso realisierbar wie Nahaufnahmen,
die dem Zuschauer das Gefühl vermittelten, in der ersten Reihe des Theaters zu sitzen. Das
Film-Musical sollte durch einprägsame Songs, Witz, akrobatische Tanzkünste, kostspielige
Ausstattung und technische Effekte eine abwechslungsreiche Unterhaltung für ein
Massenpublikum bilden, was ihm auch gelang. So wurde das Musical zur "Handelsware"
und entwickelte sich zu einer mächtigen Unterhaltungsindustrie.Die Blütezeit des
Filmusicals waren die späten vierziger und fünfziger Jahre, danach wurde dieses Genre
allmählich unpopulär.
Ende der 60er Jahre gingen neue Ideen und Klänge, beeinflusst durch Woodstock,
Underground-Musik, Psychedelic Rock etc. auch an den Musicals nicht vorbei, ohne Spuren zu
hinterlassen, das dadurch an Aktualität gewinnen kann. Zu dieser Entwicklung gehört auch
das Musical "Hair" von 1967, das sich intensiv mit den Problemen Jugendlicher und deren
aktueller Lage beschäftigt. Durch eingebaute Mitspielszenen wird die Barriere zwischen
(jugendlichen) Darstellern und dem Publikum gebrochen. Auch der musikalische Stil und die
Instrumentalisierung passen sich den neuen Anforderungen an. Aktuelle Rockmusik verdrängt
Orchester- und Jazzelemente. Des weiteren setzt sich eine neue Tendenz in der
Kompositionsweise durch: die früheren handlungstragenden Dialoge im "natürlichen"
Sprachstil verschwinden, es wird nun, wie in vielen großen Opern, durchgehend gesungen. Die
Musik schafft so einen lückenlosen Zusammenhang. Die Zeit der Musical Comedy ist nun
endgültig vorbei. In diese Zeit gehören Musicals wie Andrew Lloyd Webbers "Jesus Christ
Superstar" (1971), das schon erwähnte "Hair" (1967), Richard O'Briens "The Rocky Horror
Show" (1973) und Pete Townshends "Tommy" (1974).